Schlacht um Berlin

Der totale Krieg erreicht seinen Ausgangspunkt

7. Die Mobilisierung der allerletzten Kräfte

Die Mobilisierung ist nahezu total. Der "Führer" lässt die Volksgemeinschaft über Rundfunk unmissverständlich wissen: "Ich erwarte von jedem Gesunden, dass er sich mit Leib und Leben einsetzt im Kampf. Ich erwarte von jedem Kranken und Gebrechlichen oder sonst Unentbehrlichen, dass er bis zum Aufgebot seiner letzten Kraft arbeitet. Ich erwarte von allen Frauen und Mädchen, dass sie diesen Kampf, so wie bisher, mit äußerstem Fanatismus unterstützen. Ich wende mich mit besonderem Vertrauen dabei an die deutsche Jugend."

Drei letzte Male empfängt Hitler am 20. März an der Reichskanzlei Delegationen bzw. Abkommandierte, die als verdiente Frontkämpfer direkt von den Kampfschauplätzen kommen und ihm vor laufender Kamera von ihren (Helden-) Taten berichten dürfen. Die Halbwüchsigen der HJ werden für ihre Leistungen und ihren Mut von ihm persönlich belobigt. Das Eiserne Kreuz zweiter Klasse (EK II) hatte man diesen dafür schon vorher verliehen. Der geneigte Besucher der allerletzten Wochenschau sieht einen - um ein als die im Spalier angetretenen Adepten - halbes Jahrhundert älteren, sichlich erschöpft, trotzdem sehr freundlich, fast schon gütig wirkenden Mann in gebeuter Haltung, der das Sentiment eines endgültigen Abschiedes mit nahe geführtem persönlichen Wortwechsel und Tätscheleien ein bisschen zu genießen scheint. Seine durch die deutlich fortgeschrittene Parkinsonsche Krankheit bedingt zitternde linke Hand verbirgt der "Führer" auf dem Rücken hinter seinem Mantel. Im bezüglichen Filmbericht der Wochenschau ist diese szenische Einstellung, sowohl auf Kamera gebannt als auch von anwesenden Augenzeugen bestätigt, natürlich nicht zu sehen.

Jeder Anwesende ist der Todesnähe für sich und die anderen hier Versammelten bewusst. Einer weiß um den nahen Tod für seine Person sicher. Hitler spricht vor den Versammelten mit verblüffender Offenheit von Deutschland als einem schwer erkrankten Patienten, dem jetzt aber Medizin zu einer schnellen Genesung zur Verfügung stünde. Das bleibt so nebulös, dass, jeder der will - und das sind die meisten der hier Ausgezeichneten, neue Hoffnung schöpfen kann. Schließlich stammt diese zuversichtlich stimmende Mitteilung direkt aus des "Führers" Mund. Jeder dieser Jugendlichen ist stolz und selbstbewusst ob der Ehrung. Nach der Zeremonie erhalten die jungen Kämpfer einen Imbiss und müssen danach umgehend zu ihren Einheiten zurückkehren. Der personelle Aderlass bei den Frontverbänden der Wehrmacht und der Waffen-SS ist enorm - jeder "Mann" wird gebraucht, jede Faust zum Schanzen abkommandiert, jede Panzerfaust an die Front geworfen ...

Wahrscheinlich ist Hitlers dokumentierter und augenbezeugter Gesundheitsverfall auf die jahrelange geradezu gewohnheitsmäßige Verabreichung von Amphetaminen mit den bekannten Nebenwirkungen an ihm nicht folgenlos vorübergegangen. Überhaupt findet der Zweite Weltkrieg bei den Kombattanten auf allen Seiten oftmals unter dem Drogeneinfluss von Aufputschmitteln statt. Während Deutschland ein markenbekanntes Weckamin (N-Methylamphetamin) nicht nur für Flieger-, Panzer- und Kampfschiffbesatzungen (Populärbezeichnungen: "Fliegerschokolade", "Panzerschokolade", "Stuka-Tabletten"), sondern tonnenweise im gesamten Militärapparat zur personellen Kampfwertsteigerung verwendet, benutzen die USA ein anderes strukturidentisches Markenprodukt zum gleichen Zweck in ähnlichem Ausmaß. Selbst bei sechzehnjährigen Flakhelfern wird das als kriegswichtig klassifizierte Pharmakon verteilt, um das aus der Mehrfachbelastung Schulpflicht, Ausgebombtsein und Kampfeinsatz resultierend dauerhafte Schlafdefizit zu kompensieren. Allein von April bis Juni 1940 (Frankreichfeldzug) wurden von der Wehrmacht 35 Millionen Tabletten (Methamphetamin-Hydrochlorid) für ihre drei Truppenteile (Heer, Luftwaffe, Kriegsmarine) geordert und mutmaßlich auch an die Fronteinsatzkräfte zeitnah verabreicht. Im weiteren Kriegsverlauf ist der Bedarf dieser von der Militärführung als kriegswichtig eingestuften "Wunderwaffe" eher noch gestiegen.

Amphetamine erzeugen, sofern nicht gewohnheitsmäßig eingenommen, überdies euphorisierende, angstdämpfende und appetithemmende Effekte, sind primär aber nicht psychedelisierend oder halluzinativ psychoaktiv wirksam. Eine sich ausbildende Toleranz kann allerdings zeitnah in der Regel nur durch eine Dosissteigerung kompensiert werden. Bei kontinuierlicher Langzeiteinnahme drohen zunehmender psychischer und letztlich auch physischer Verfall. Nicht selten werden ehemalige Dauernutzer, obwohl inzwischen abstinent, von lang anhaltenden sekundären Nachwirkungen - wie chronischer Schlaf- und Appetitlosigkeit oder unüberwindbarem Konzentrations- und Gedächtnisschwund - gequält und/oder temporär sogar zu Apathikern. Auch Hitler, der die Einnahme von Amphetaminen mittels Injektion präferierte, wird mutmaßlich an Langzeitfolgen zu tragen gehabt haben. Der 2. Weltkrieg ist entgegen der langläufigen Auffassung ein auf allen Seiten auch chemisch geführter.

Das letzte Aufgebot - pharmazeutisch "gestählt", auf "Speed" oder nicht - ist aufgestellt, rückt ein, aber kaum noch vor. Es besteht aus zumeist, manchmal sogar grotesk, unzureichend bewaffneten, kaum ausgebildeten und oft nur provisorisch geführten Angehörigen von Hitler Jugend (HJ), Volkssturm, Reichsarbeitsdienst (RAD), Organisation Todt (OT) sowie allen Wehrmachts- und SS-Angehörigen, die sich, häufig aus eher zufälligen, zumindest dienstlichen, gesundheitlichen oder familiären Gründen zu diesem Zeitpunkt in Berlin aufhalten und für die nun die Heimatfront zum Endkampf an der Ostfront wird. Jetzt muss auch die Etappe ran, selbst wenn durch deren Einberufung die erdrückend zahlenmäßige Überlegenheit der sowjetischen Angreifer nicht einmal entfernt aufzuwiegen ist.

Durch den Fronteinsatz von quasi paramilitärischen Formationen entsteht für die Beteiligten im Falle ihrer Gefangennahme eine oft zusätzliche Erschwernis. Sie besitzen, zumindest nach Auffassung der Sowjetarmee, keinen völkerrechtlich anerkannten Kombatantenstatus, werden folglich als Partisanen, d. h. unlegitimierte Heckenschützen - letztlich Kriminelle, betrachtet und oft dementsprechend unmenschlich behandelt. Dagegen nützt das Uniformiertsein einer Parteigliedeung meist genauso wenig wie die Armbinde mit der Aufschrift "Deutscher Volkssturm Wehrmacht". Wieder einmal beißen die Letzten die Hunde ...

Auch in der Zivilbevölkerung wird noch einmal um Hilfsspenden für die Frontsoldaten aufgerufen. Unter dem Motto "Volksopfer / Der Führer erwartet Dein Opfer für Wehrmacht und Volkssturm / Gebt alles Entbehrliche an Spinnstoffen und Ausrüstungsstücken" sind reichsweit vom 7.-28. Januar 1945 alle Volksgenossen aufgerufen, mit der Abgabe von Sachspenden (besonders Bekleidung und zweckdienliche Ausrüstung) in stationären oder an mobilen Sammelstellen den Frontverbänden materielle Unterstützung zukommen zu lassen. Der eigentliche Nutzen erweist sich allenfalls in psychologischer Natur, denn die Aktion kommt logistisch zu spät, um wirksam werden zu können - aber die Kampagne kann vielleicht noch einmal eine kurzfristige Stärkung des Kriegs- und Durchhaltewillens im Bewusstsein der Bevölkerung bewirken.

Die Sowjets können hingegen, wenn auch unter erheblichen Anstrengungen, zur letzten Offensive personell und materiell ...

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