Schlacht um Berlin

Letzte Stellprobe für den Kataklysmus

12. Vor dem letzten Akt

In Berlin, das nach dem siegreichen Krieg als Welthauptstadt architektonisch-megaloman neu erschaffen, pseudo-klassizistisch aufgrund langjähriger Führervisionen aufgewölbt werden und dann in "Germania" umbenannt sein sollte, werden nun von entkräfteten Zivilisten beiden Geschlechts aller Lebensalter unter der Anleitung von Angehörigen des paramilitärischen Reichsarbeitsdienstes (RAD) mehr oder weniger taugliche Schützen- und Panzergräben ausgehoben sowie primitive Straßensperren aufgeschichtet. Auch bei diesen seit März anlaufenden Fortifikationsmaßnahmen kann weitgehend nur improvisiert werden, es fehlt an geeignetem Baumaterial und -gerät sowie an planerischer Systematik und der genügenden Anzahl von ausgebildeten Arbeitskräften. Die Schanz- und Befestigungsanstrengungen bleiben daher provisorisch und unzusammenhängend, geradezu sporadisch. Auch geht kein massenpsychologischer Effekt zur Stärkung des Kampfwilles durch ihre Entstehung und von ihrer (lückenhaften) Existenz aus. Eher im Gegenteil regen die baulichen Defensivvorkehrungen den Berliner Sarkasmus an. So sollen mit Ruinenschutt befüllte und auf den Straßen quergestellte Straßenbahnwagons Panzerbarrieren bilden und den Verteidigern Deckung bieten. Die Berliner Schnauze weiß dies, zu kommentieren: "Die Russen brauchen für d i e genau 35 Minuten - 30 Minuten, um darüber zu lachen und 5 Minuten, um sie wegzuschieben." Das stetig expandierende Dilemma der letzten Kriegsjahre ist jetzt allgegenwärtig unübersehbar: mit immer weniger Leuten mehr zu erstellen bzw. herzustellen, erfordert Ideen und Ressourcen. Die Ideen zur Defensivkriegführung nehmen in der Wehrmacht, im Ministerium Speer, in der Organisation Todt, dem Reichsarbeitsdienst und den anderen jetzt unmittelbar im Abwehrkampf stehenden NS-Organisationen proportional zu den schwindenden Ressourcen ab, "denn von nichts kommt nichts", weiß der Volksgenosse und erträgt den drückenden Mangel am eigenen Leib tagtäglich schon seit vielen Monaten, wenn nicht Jahren.

Das apokalyptiode Bühnenbild, das unausweichliche und daraus geradezu ersehnende Finale in Berlin zu zelebrieren, hat sich vor Ort seit spätestens 1943 vervollkommend hergestellt und ist als sich stündlich ergänzenzend-erneuernder Zerfallsprozess geradezu kongenial zum erfüllungsorientiert-wagnerianischen Führerwillen zu diesem Zeitpunkt geradezu perfekt. Die determinierte Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse oder - vielleicht präziser - dem sich kreativ-individuell generiereden Bösen und dem unitär-kollektiven Bösen (in Allianz mit dem nicht anwesend sein wollenden vermeintlich Guten) wird nun als unregelmäßig stakkatohaftes Furioso als für alle Beteiligte metzelnder oder zumindest bedeutsam schlusspunktlicher Schlussakt ausgetragen ... werden (müssen) ...

Hitler hat im engen Lageraum seiner Bunkeranlage jetzt einen Berliner Stadtplan an der Wand, auf dem nun der 1941 begonnene Ostfeldzug sein heroisches Finale, genannt "Endkampf", nachverfolgt wird. In seinem persönlichen Arbeitsraum, hängt über der kargen Möblierung ein Bildnis von Friedrich II. (der Große), dessen 3 Schlesische Kriege den kontinentalen Teil eines Weltkrieges im 18. Jahrhundert bildeten, das aufstrebende Preußen fast in den Untergang riss und in dem die Truppen der russischen Zarin zweimal Berlin besetzten, aus dem Preußen aber wider Erwarten als europäische Großmacht hervorging. Dieses historische Exempel bildet mental einen der Strohhalme, an denen Hitler nun seine Zukunftsperspektive hängt. Dem Idol Alten Fritz war seiner Zeit in letzter Minute das Schicksal hold, er und sein aufstrebender Staat hatten überlebt und sogar das okkupierte Territorium behalten dürfen. Auch damals hatte das Kriegsgeschehen furchtbare Auswirkungen, verzehrte ungeheure Ressourcen und Menschen, forderte von den beteiligten Staaten hohe Opfer. Jedoch waren diese so genannten Kabinettskriege keine Weltanschauungskriege, sie waren kulturell und zivilisatorisch grausame "Geburten" ihrer Epoche und damit im Sinne eines Vernichtungswillens nie "total". Der im Habsburger Reich geborene und herangewachsenen Hitler klammert sich an das Vorbild und die Erfolgsstory des ersten Habsburgbezwingers ... Der bayerische Kriegfreiwillige, Wahldeutsche und "Heimholer" seiner verbliebenen österreichischen Kern-Heimat ins Deutsche Reich und nun im urbrandenburgischen Berlin "residierende" Herrscher einer zerfallenden Großmachtherrlichkeit, die er kurzzeitig selber schuf, ist ein Spieler wie Friedrich der Große. Preußens Gloria und Elend waren aber immer anderen Wesens als die Person gewordenen Träume und Ziele eines national-sozialistischen Expansionismus. Immerhin hat der Annexionist "Alter Fritz" das Objekt seiner Begierde, Schlesien, nach Verhallen des allerletzten Kanonendonners behalten dürfen ... Schlesien ist zu diesem Zeitpunkt (April 1945), die Hauptstadt Breslau ausgenommen, aber schon irreversibel in sowjetischer Hand und wird nach Kriegsende von fast allen deutschen Bewohnern "befreit", von den Siegermächten dem polnischen Staatsgebiet zugewiesen ...

Der "Führer" war in bisher unvorstellbarer Weise über eine unglaubliche Vielzahl von Schicksalen hinweggegangen - jetzt steht sein eigenes zeitnah zur letalen Disposition. Er hat - so scheint es - kaltbütiger geblufft, höher ausgespielt und lauter gehöhnt als seine latent oder offen idolisierten Vorgänger Alexander, Caesar, Friedrich II., Napoleon oder andere Selfmadekarrieristen der Historie. Dass das Blatt nicht mehr zu wenden ist, dass sein Blatt für einen vielleicht letzten All-In-Erfolg schon lange viel zu schmal geworden ist, wird ihm (weit vor allen anderen) zwischen November 1941 und Mitte 1944 zur zunehmenden Gewissheit geronnen sein ... Er ist jedoch nicht nur entschlossen, sondern vielmehr dem Diktat des Faktischen, das er selbst über zwei jahrzehntelang in eine Richtung trieb, ausgeliefert. Dieses große - von ihm und seinen Getreuen wissentlich und willentlich herbeigeführte - Hassard, das zur Hybris wurde verschlingt ihre Verursacher, Nutznießer und Helden. Aber er beweist als Kenner des Theatralischen und glühend praktizierender Wagnerianer im Finale Haltung - zumindest dringt nur wenig anderes aus dem acht Meter tiefen, massiv mit Stahlbeton ummantelten Gewölbe, in dem er jetzt wie ein Arrestierter festsitzt.

Wer sich den überwiegenden Teil der tatkräftigen Welt zum Todfeind macht, weiß bei und vor jedem weiteren Zeitpunkt seines Tuns, dass er siegen oder sterben muss. Dies hat der Kriegsherr Hitler wortwörtlich auch seinen Feldmarschällen Rommel (El-Alamein, 1942) und Paulus (Stalingrad, 1943) nicht nur anempfohlen, sondern sogar befohlen. Einem begnadeten Vabanquespieler wie Hitler ist dieser existenzielle Dualismus nicht nur immer präsent und damit bewusst gewesen, vielmehr hat er tatenvoll immer danach gesucht und ungezählte andere in diese Situation disponiert. Dabei reicht es noch nicht ganz zum klassischen Antagonismus, aber immerhin ist man auf Dauer auch in dieser permanenten Spannungslage ohne statistisch realistische Überlebenschance. Hitler ahnt dies nicht nur - er weiß um seinen nahenden Tod schon seit Langem. Der Gedanke eines vorzeitigen Ablebens ist ihm nicht fremd. Sein Leben hat er auch schon vormals immer wieder in die Waagschale geworfen, überdies einige Male auch glaubhaft damit gedroht, sich selbst zu entleiben. Mangel an Mut oder gar Feigheit ist keine hervorragende Charaktereigenschaft von Hitler. Obsession kennt Bangen oder Zagen nicht.

Schon ist die Bühne für den Schlussakt gerichtet, der Vorhang jedoch noch nicht aufgegangen. Die Akteure dürfen und müssen ein weiteres Mal brillieren - im Siegen oder Sterben.

Viele, nicht wenige auch in der Umgebung von Hitler, sprechen verhohlen vom "Lebensverlängerungsprogramm für den Führer" und meinen dabei auch sich und nicht zuletzt sich und überhaupt sich. Die größte Kunstschaffung seit dem "Ring der Nibelungen" drängt dem realen Finale entgegen - dem letzten Akt des Weltenbrandes: der Götterdämmerung. Und Hagen (oder doch mehr Rienzi?) alias Hitler kann, muss und wird als Intendant und Hauptdarsteller seiner Inszenierung beim Ansturm der "Horden Etzels" oder dem "Todesgriff der Rheintöchter" (je nach psychisch-pharmazeutisch und/oder ideologisch-metaphysisch bedingter Gemütslage) noch einmal all die realpolitischen und theatralischen Mittel, die ihm jetzt noch verblieben sind, publikumswirksam einsetzen. Im Finale beweist der Titelheld noch einmal egozentrische Größe. Was nun folgt, ist persönlich gemünzt, ist kein Theaterdonner, kein Deus ex machina. Wenn es jetzt kracht, geht es um Leben und Tod des Tyrannen; nach und nach kracht das Bisherige als Übriges gänzlich zusammen.

Die Berliner "Schnauze" findet hinter vorgehaltener Hand auch hierfür eine Formel:

(...)

in Bearbeitung ...

Konferenz von Jalta

Feuersturm in Dresden

Propaganda-Stelldichein bei Torgau

Sein Nerobefehl bleibt nicht nur auf vielen Kommando- und Ausführungsebenen bewusst unbeachtet, sondern kann auch kaum noch befolgt werden, weil man zur Vernichtung von Ressourcen wiederum Ressourcen benötigt - diese sind aber zumeist gar nicht mehr verfügbar.

LESEN SIE HIER WEITER - Schlacht um Berlin - 13.

LESEN SIE, WAS ZUVOR GESCHAH - Schlacht um Berlin - 11. Die "Festung" Berlin mit ihren "Zitadellen"

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